German UPA | Beitrag vom 14.05.2025 –
Barrierefreiheit ist kein Bonus – sie ist Pflicht. Warum der GAAD uns alle angeht.
Auf einen Blick...
Barrierefreiheit ist kein Nice-to-have, sondern eine zentrale Aufgabe für UX-Professionals – gesetzlich verpflichtend, gesellschaftlich notwendig und gestalterisch bereichernd.
- Barrierefreiheit betrifft uns alle: Nicht nur Menschen mit dauerhaften Behinderungen, sondern auch temporär Eingeschränkte profitieren von zugänglichen digitalen Angeboten – das macht Accessibility zu einem universellen Qualitätskriterium.
- Gesetzlicher Druck steigt: Ab Juni 2025 macht das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) Barrierefreiheit für viele digitale Produkte verpflichtend – UX-Teams müssen sich frühzeitig vorbereiten.
- UX ist Schlüsselrolle und Vermittler: UX-Professionals gestalten Barrierefreiheit aktiv mit, indem sie Richtlinien wie WCAG/BITV umsetzen und Accessibility von Beginn an in ihre Prozesse integrieren.
- Testing mit echten Nutzer:innen: Nur durch Einbeziehung betroffener Personen in Usability-Tests entstehen wirklich zugängliche Interfaces – remote und praxisnah machbar.
- Barrierefreiheit ist ein kontinuierlicher Prozess: Von Designsystemen über KI-Tools bis hin zu Teamverantwortung – nachhaltige Accessibility erfordert Bewusstsein, Kompetenz und Engagement im Alltag.
Warum Barrierefreiheit uns alle betrifft
Thomas Jackstädt bringt es auf den Punkt: 7,9 Millionen Menschen in Deutschland haben eine Beeinträchtigung von über 50 %. In einer alternden Gesellschaft wird diese Zahl steigen. Doch auch temporäre Einschränkungen – wie eine steife Hand nach dem Joggen oder schlechte Sicht bei Sonnenschein – betreffen fast jeden von uns irgendwann. Einschränkungen sind Alltag.
Und doch sind laut WebAim Million Test 2025 ganze 94,8 % der getesteten Websites fehlerhaft in Sachen Barrierefreiheit – im Schnitt mit 51 Problemen pro Seite. Automatisierte Tests erkennen nur rund die Hälfte dieser Hürden. Es gibt also eine gewaltige Lücke zwischen Anspruch und Real
Das BFSG – ein Gesetz mit Signalwirkung
Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wird diese Lücke kleiner. Ab dem 28. Juni 2025 müssen viele digitale Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zugänglich sein – darunter Online-Shops, Bankdienstleistungen, E-Book-Reader, Betriebssysteme, Self-Service-Terminals und mehr.
Doch das Gesetz ist nicht perfekt. Ediz Kiratli weist darauf hin, dass es Übergangsfristen bis 2040 für bestehende Systeme gibt. Viele Betroffene kritisieren das als zu langsam. Gleichzeitig betont er, dass diese Fristen wirtschaftlich sinnvoll sein können, wenn es etwa um technische Nachrüstungen geht. Positivbeispiele gibt es schon heute – einige Geldautomaten wurden bereits erfolgreich umgestellt.
UX spielt eine Schlüsselrolle
Für Ediz ist klar: UX-Professionals sind zentral für eine barrierefreie digitale Welt. Nicht nur, weil sie früh in der Produktentwicklung involviert sind, sondern auch, weil sie zwischen Technik, Inhalt und Gestaltung vermitteln. Barrierefreiheit muss von Anfang an mitgedacht werden – nicht erst beim Testing.
UX-Professionals sollten sich mit gängigen Richtlinien (wie WCAG und BITV), Designsystemen und Tools vertraut machen. Farbkontraste prüfen? Alt-Texte vergeben? Navigationspfade optimieren? Alles Aufgaben, die UX-Teams direkt beeinflussen können.
„Ich finde, dass UX-Professionals da wirklich aufgrund ihrer Expertise viel unterstützen können, dieses Thema bei der Gestaltung von Produkten umzusetzen.“
Häufige Missverständnisse – und wie wir sie vermeiden
Barrierefreiheit ist kein Einmal-Projekt, sondern ein dauerhafter Prozess. Ein Fehler: Zu glauben, man könne sie „fertig“ bauen. Software entwickelt sich weiter – Accessibility muss mitziehen.
Ein weiteres Missverständnis: Barrierefreiheit sei nur für "eine kleine Zielgruppe". Dabei profitieren viele – auch Menschen ohne offizielle Behinderung. Größere Schrift, bessere Kontraste, klarere Navigationsstrukturen? Das nützt allen.
Testing mit Menschen – nicht über sie hinweg
Ediz plädiert dafür, Menschen mit Einschränkungen aktiv in Usability-Tests einzubeziehen. Das geht remote – braucht aber Zeit und ein durchdachtes Setting. Der Mehrwert ist groß: Die Aha-Momente, wenn ein Interface aus einer anderen Perspektive betrachtet wird, sind unbezahlbar.
Kleine Schritte, große Wirkung
Thomas nennt viele Möglichkeiten, wie UX-Professionals direkt loslegen können:
- Zuständigkeiten einfordern – Barrierefreiheit braucht Verantwortung.
- Wissen aufbauen und teilen – z. B. zu Tools, Testmethoden und barrierefreien Designsystemen.
- Mit Menschen sprechen, die betroffen sind – nicht über sie hinweg gestalten.
- Management überzeugen – mit Zahlen, Nutzenargumenten und echten Beispielen.
„Inklusion beginnt im Kopf und zeigt sich in jedem Kontaktpunkt mit den Nutzenden.“
Und was ist mit KI?
Auch hier sieht Ediz Potenzial: Tools, die automatisiert Alt-Texte vorschlagen oder an Barrierefreiheits-Prüfungen erinnern, können helfen, die Qualität konstant hochzuhalten. Besonders bei der laufenden Contentpflege kann KI wertvolle Unterstützung leisten.
Unser Appell zum GAAD: Dranbleiben!
Barrierefreiheit darf kein Hype-Thema rund um ein Gesetz oder einen Aktionstag sein. Es braucht Kontinuität – in Projekten, in der Ausbildung, in unseren Tools und Teams. Ediz wünscht sich eine UX-Community, die Barrierefreiheit als Teil ihrer Identität versteht – nicht als Checklistenpflicht.
Oder wie Thomas es formuliert: Inklusion beginnt im Kopf – und zeigt sich in jedem Kontaktpunkt mit unseren Nutzer:innen.
Lust auf mehr?
Der Arbeitskreis Barrierefreiheit der German UPA freut sich über neue Mitglieder – egal, ob du schon tief im Thema steckst oder gerade erst anfängst. Du kannst schreiben, testen, organisieren oder einfach lernen. Hauptsache: Du machst mit.