German UPA | Beitrag vom 06.08.2025
Buttons, Biases und Verantwortung: Wie UX Design unsere Entscheidungen lenkt – und was wir dagegen tun können

UX Design beeinflusst unser Verhalten weit mehr, als vielen bewusst ist. Ob bei Abo-Modellen, in Shopping-Apps oder auf News-Plattformen: Design entscheidet mit, was wir klicken, kaufen – und sogar glauben. Doch wo liegt die Grenze zwischen sinnvoller Gestaltung und Manipulation? Und was bedeutet das für unsere tägliche Praxis als UX Professionals?


Auf einen Blick

UX Design beeinflusst unsere Entscheidungen oft unbemerkt – zwischen hilfreicher Gestaltung und Manipulation verläuft eine feine Linie, die UX Professionals aktiv und ethisch reflektieren müssen.

  • Design lenkt Entscheidungen – häufig unterbewusst und messbar: Farbe, Form, Größe und Position von Buttons beeinflussen das Klickverhalten systematisch; grün, groß und oben platziert wird signifikant häufiger gewählt.
  • Technologievertrauen verstärkt den Design-Effekt: Nutzer*innen mit hohem Vertrauen in digitale Systeme lassen sich besonders leicht durch visuelles Design beeinflussen – was Verantwortung auf Seiten der Gestaltenden erhöht.
  • Unterscheidung zwischen Nudging, Persuasion und Dark Patterns ist essenziell: Nicht jede Beeinflussung ist manipulativ – aber klare Grenzen helfen, ethisch sauberes UX Design zu praktizieren.
  • Design hat Nebenwirkungen – individuell und gesellschaftlich: UX kann Autonomie, mentale Gesundheit und soziale Gerechtigkeit beeinflussen – und sollte daher bewusst mitgestaltet werden.
  • Konkrete Empfehlungen für ethisches UX Design: Farbwahl bewusst treffen, Dark Patterns vermeiden, Transparenz fördern, Positionierung überdenken und Ethik-Checks in den Designprozess integrieren.

Entscheidungen, die sich nicht wie Entscheidungen anfühlen

Im Supermarkt greifen wir häufig unbewusst zu Produkten in Grün- oder Hellblau – Farben, die wir mit Bio oder „Light“ assoziieren. Ein ähnlicher Mechanismus wirkt digital: Netflix hebt bestimmte Abo-Modelle hervor, während andere gar nicht erst angezeigt werden. Die Wahl ist formal frei – aber nicht neutral präsentiert.

Diese Beispiele machen deutlich: Design beeinflusst, was Menschen für eine „freie Entscheidung“ halten. Und das betrifft jede technologische Oberfläche – vom Streamingdienst über den Checkout bis zur Gesundheits-App.

UX Design beeinflusst Verhalten – systematisch und messbar

Um zu verstehen, wie stark Designentscheidungen Nutzerverhalten beeinflussen, hat Veronika Langner eine umfangreiche Nutzerstudie durchgeführt, in der über mehrere Iterationen hinweg getestet wurde, welche visuellen Eigenschaften von Buttons dazu führen, dass sie (intuitiv) geklickt werden. Dabei hat sie sich auf vier Gestaltungsparameter konzentriert: Farbe, Form, Größe und Position von Button

Ziel war es, herauszufinden, welche Gestaltungsmerkmale Klickverhalten beeinflussen – und wie. 

Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

  • Grüne Buttons wurden signifikant am häufigsten geklickt.
    Farben wie Gelb und Blau folgten – Rot und Pink schnitten am schlechtesten ab.
  • Runde Buttons waren erfolgreicher als eckige.
    Eine visuelle Gestaltung mit weichen Formen scheint intuitiver akzeptiert zu werden.
  • Große Buttons wurden deutlich häufiger geklickt als kleine.
    Keine Überraschung – aber in Kombination mit Farbe und Position umso wirksamer.
  • Buttons am oberen Rand der Auswahl wurden häufiger gewählt.
    Ein klassischer Primacy Effect, der bereits aus der kognitiven Psychologie bekannt ist.

Farbassoziationen beeinflussen Klickwahrscheinlichkeit

Interessant: Farben mit positiver Assoziation wie Natur, Gesundheit oder Erfolg wurden deutlich häufiger gewählt – etwa Grün oder Gelb. Dagegen wurden Buttons in Farben wie Rot (assoziiert mit „Fehler“, „Achtung“ oder „Blut“) deutlich gemieden. Designpsychologie wirkt – oft unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.

Trust Factor: Je höher das Vertrauen in Technologie, desto größer der Einfluss von Design

Ein weiterer Aspekt der Studie untersuchte das Vertrauen in Technologie und dessen Einfluss auf das Klickverhalten. 

Besonders große Buttons wurden von dieser Gruppe signifikant häufiger gewählt. Ein spannender Hinweis darauf, dass nicht nur Designentscheidungen, sondern auch Nutzermerkmale das Interaktionsverhalten mit digitalen Oberflächen mitbestimmen.

"Personen die Technologie vertrauen lassen sich auch leichter beeinflussen von dieser Technologie."

 

Veronika Langner

Nudge, Dark Patterns und ethische Grauzonen

Design kann motivieren, lenken – oder manipulieren. Veronika unterscheidet dabei drei Strategien:

1. Persuasive Design

Zielgerichtete Beeinflussung ohne Täuschung oder Zwang. Häufig eingesetzt in Gesundheit, Bildung und Nachhaltigkeit.

2. Nudging

Subtile Veränderungen in der Choice Architecture, die Verhalten vorhersagbar beeinflussen – ohne Alternativen auszublenden. Fast jede digitale Oberfläche enthält Nudges.

3. Dark Patterns

Bewusst manipulative Designelemente, die Nutzende zu ungewolltem Verhalten verleiten – etwa zu Abo-Abschlüssen, unnötigen Käufen oder Datenteilung. Besonders häufig bei Buchungsportalen, Social Media und Mobile Apps.

Beispiele reichen von Fake Urgency („Nur noch 2 Plätze verfügbar!“) über fehlende „Ablehnen“-Buttons bis hin zu versteckten Opt-Out-Möglichkeiten.

UX Design hat Nebenwirkungen – auf Individuum, Gesellschaft und Umwelt

Was als kleine Interface-Optimierung beginnt, kann tiefgreifende Konsequenzen haben:

Für einzelne Nutzer*innen:

  • Verlust von Kontrolle und Autonomie
  • Kognitive Überforderung
  • Verstärkung psychischer Belastungen
  • Geringeres Selbstwertgefühl und technologische Abhängigkeit

Für die Gesellschaft:

  • Digitale Kluft und soziale Ungleichheit
  • Umweltbelastungen durch übermäßige Digitalisierung
  • Kulturelle Homogenisierung und Verlust von Vielfalt

Kurzfristige Optimierung kann langfristig Vertrauen, Nutzerbindung und gesellschaftliche Resilienz untergraben.

Positive Technologien – und wie sie verantwortungsvoll gestaltet werden können

Gleichzeitig hat UX enormes Potenzial, Gutes zu bewirken: Positive Technology beschreibt digitale Anwendungen, die gezielt Wohlbefinden, Achtsamkeit oder Gesundheitsverhalten fördern – etwa über Bewegungstracker, Schlaf-Apps oder mentale Trainings.

Aber auch hier gilt: Design ist nie neutral. Selbst gut gemeinte Funktionen können zu Stress, Leistungsdruck oder Kontrollverlust führen. Nur wer den psychologischen und kulturellen Kontext mitdenkt, kann wirklich nutzerzentriert arbeiten.

6 konkrete Tipps für ethisch verantwortungsvolles UX Design

  1. Button-Farbe bewusst wählen
    Grün = Zustimmung, Vertrauen, Erfolg. Rot = Gefahr, Warnung. Wähle Farben nicht nur nach CI – sondern nach Wirkung.
  2. Form und Größe strategisch, aber transparent einsetzen
    Runde, große Buttons performen besser – aber übertreibe es nicht. Ziel ist Usability, nicht Täuschung.
  3. Positionierung mitdenken
    Nutzer wählen oft die erste Option. Das bedeutet: Die Reihenfolge ist kein Detail – sie ist Teil der Entscheidung.
  4. Dark Patterns systematisch vermeiden
    Lege ein internes Review-System für problematische Muster an. Nutze z.B. https://darkpatterns.org als Referenz.
  5. Transparenz gegenüber Stakeholdern schaffen
    Wirtschaftlicher Druck ist real. Argumentiere mit langfristigem Vertrauen, Markenimage und Nutzerbindung – nicht nur kurzfristigen Conversion-Zahlen.
  6. Ethik-Checks in den Designprozess integrieren
    Eine simple Frage pro Sprint: „Welche unbeabsichtigten Nebenwirkungen könnte diese Designentscheidung haben?“ Oft reicht das, um einen Perspektivwechsel auszulösen.

Und jetzt?

UX Design beeinflusst mehr als nur Conversion Rates – es formt Verhalten, Entscheidungen und gesellschaftliche Dynamiken. Umso wichtiger ist es, dass Designethik nicht als Luxus oder „nice to have“ gesehen wird, sondern als integraler Bestandteil professioneller UX-Arbeit.

Es geht nicht nur um den Button, sondern um das System dahinter. Um die Wirkung im Alltag. Um Vertrauen, Autonomie und die Frage: Gestalten wir Technologie, die Menschen dient – oder sie lenkt?