German UPA | Beitrag vom 10.06.2014 –
G-UPA Mitglied der halbWoche: Jürgen D. Mangerich
Auch du bist herzlichen eingeladen den > Fragebogen für diese Aktion < (zumindest teilweise) auszufüllen. Wir freuen uns auf deine Rückmeldung!
Heute starten wir mit jemandem, der sich schon seit den 80zigern mit Usability, bzw. den „Vorformen“ davon, beschäftig und ein Mitglied der ersten Stunde ist (mit einer zweistellige Mitgliedsnummer!).
Blog frei für Jürgen D. Mangerich:
"Darum geht’s: Menschen so zusammenbringen, dass sie ein gemeinsames Verständnis haben um - Peng! - zu innovativen neuen Dienstleistungen, Produkten, Designs zu kommen … was immer im jeweiligen Projektzusammenhang benötigt wird."
Wie bist du zur Usability gekommen?
Alles begann mit einem Missverständnis und vielen Fragen
1985/86 – Student der Psychologie im Grundstudium der damaligen TH Darmstadt, im Rahmen eines Experimental-Praktikums tabellenweise Rohdaten gesammelt (in Karopapier mit dem Kuli aufgeschrieben), es gab noch kein MS-Excel (doch, eine solche Zeit gab es wirklich)! Was tun, Herr Professor: ist eine Tortengrafik besser geeignet, oder eher eine Balkengrafik? Und wenn ja, wie gestaltet man die am besten? Ich hoffte: Balkengrafik, denn mit dem Zirkel Kreise ziehen erschien mir doch sehr umständlich.
Wie, aus der Sicht des Betrachters überlegen? Wozu, überlegen welche Aussagen man durch die Wahl der Darstellung in den Mittelpunkt stellen möchte? Warum, Prinzipien der menschlichen Wahrnehmung bedenken? Ob ich schon mal prinzipiell über solche Gestaltungsmerkmale (was will der von mir?) nachgedacht hätte?
1985/86 – es gibt kein Curriculum zum dem was sich „Software-Ergonomie“ nennt.
Hier und da vereinzelt Professoren - sorry, ich habe erst viele Jahre später von den ersten Damen gehört, die sich hiermit beschäftigten – Hochschullehrer, die sich als Exoten mit interdisziplinären Forschungsfragen beschäftigen. Psychologen, die sich mit software-technischen Fragestellungen, Informatiker, die sich mit psychologischen Herangehensweisen auseinandersetzten? Praktiker in der bundesdeutschen Wirtschaft? Die systematisch an dieses Feld der Anwendung wissenschaftlich fundierten Wissens herangeführt worden waren? Fehlanzeige über Fehlanzeige!?
Nicht ganz, denn hier und da gab es kleine Forschungsgruppen, die sich mit zentralen Fragestellungen beschäftigten – Wirkung von Farbe, Unterschiede in Benutzergruppen, Formen der experimentellen Untersuchung. Eine davon am IBM Wissenschaftlichen Zentrum Heidelberg.
Dort konnte man nach Herzenslust Grundlagen erforschen, interdisziplinär, Physik, Psychologie, Informatik.
Und dann, es ist die Zeit des OS/2 der IBM, geheim, geheim! Da haben doch Kollegen tatsächlich etwas auf einem Rechner installiert, bei dem man zeitgleich die aktuelle Uhrzeit sehen und Text verarbeiten kann. Gleichzeitig! Mit solchen Flächen, die man Fenster nennt. Das hatte ich auf meinem DOS-basierten Rechner im fensterlosen Labor noch nie gesehen: Microsoft?
Toll, was man an so einem Forschungszentrum an Anregungen bekommen konnte. Schade, dass es nicht immer so weiter gehen konnte – IBM zentralisierte seine Forschung in den USA.
Warum bist du Mitglied in der German UPA?
Der Sprung ins (vermeintlich) kalte Wasser der Praxis in der Wirtschaft. Weit und breit niemand, mit dem man sich austauschen konnte. Immer wieder wurde man erstaunt angesehen, wenn man als Software-Engineer tief eingebettet in Entwicklungsvorhaben nicht-technisch begründete Vorschläge machte. Erstaunt, aber zugleich auch neugierig, denn schließlich hatte man das Mandat eines Leiters einer größeren Entwicklungseinheit – von Managern sprach man nicht.
Mitte der 1990er Jahre ist die Beschäftigung mit der Optimierung der Benutzbarkeit in der Industrie immer noch recht ungewöhnlich.
Aber selbst die Deutsche Sparkassenorganisation gönnt sich einen Think-Tank von 10-15 Personen um dieses Thema strategisch vorzudenken. Jetzt kommen Organisationsentwickler, Marketing, externe Agenturen, Projektleiter, Geschäftsprozessanalysten, Architekten für Kassenräume, Vertriebsspezialisten mit in die Diskussionen hinzu. Interdisziplinärität vom Feinsten legt die systematische und systemische Basis valide immer weiter in die Zukunft schauen zu können. Das Internet als Informationskanal, dann als Vetriebsplattform taucht auf. Fragen der Produktkonsistenz werden intensiv diskutiert und in zentralen Vorgaben festgelegt.
Man hört von KollegInnen in der Industrie, die sich mit der Praxis dessen beschäftigen, was man in der meist US-amerikanisch dominierten Grundlagenliteratur nachlesen kann. Nur, wie kann man ohne zu großen Aufwand mit ihnen in Kontakt kommen? Veröffentlicht man eine Frage in Foren kann es passieren schneller aus Australien eine Antwort zu bekommen, als aus Deutschland. Die Deutschen scheinen als EinzelkämpferInnen unterwegs zu sein.
Wie gut, als sich ein paar Aktivisten Ende der 1990er zu Veranstaltungsreihen wie der Mensch & Computer zusammenfinden.
Man kann sich fachlich miteinander austauschen! Und dann liegt der Gedanke nicht mehr fern, einen Berufsverband zu gründen. Um sich direkt und indirekt zu unterstützen, Lobbyarbeit voranzutreiben, die Ausbildungsqualität zu verbessern, sich im Wettbewerb mit selbsternannten Spezialagenturen abgrenzen zu können.
Welche Bücher sollte man aus deiner Sicht als Usability Professional unbedingt gelesen haben?
Bücher, die in den jeweiligen fachlichen Kontext passen. Insbesondere jene, die manchmal vermeintlich „neben“ dem Fokus der Usability liegen; ein paar Beispiele:
„Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“
von Jonas Jonasson Wunderbare Metapher dafür, was passieren kann wenn man seinen eigenen Ideen folgt und sich nicht durch vermeintlich unveränderbare Randbedingungen im Denken und Tun beschränken lässt. Eine Antwort auf das typische Zitat aus der täglichen Praxis „Das geht nicht (anders)!“
„Orbiting the Giant Hairball. A Corporate Fool’s Guide to Surviving with Grace”
von Gordon MacKenzie Kreative Köpfe haben’s immer wieder schwer. Man sollte dennoch (und gerade deshalb?!) seine kreative Ader nicht aufgeben, denn es ergeben sich immer wieder neue, überraschende Perspektiven.
„Designing Interactions“
von Bill Moggridge Usability Professionals leben von Geschichten wie etwas woanders gemacht wurde. Diese Sammlung zeigt interessante Aspekte zu vielen Dingen, die uns heute selbstverständlich erscheinen. Aber doch irgendwann und irgendwo zum ersten Mal gedacht wurden. Auch hier gilt: nicht alles ist planbar!
Welche Blogs/Webseiten empfiehlst du?
- Firmeninterne Blogs und Wikis
Zu allen erdenklichen Aspekten rund um die professionelle Entwicklung hochwertiger Lösungen. Diese decken so vieles ab, dass es mir schwer fällt öffentlich zugängliche Quellen zu nennen. - Fefes Blog – blog.fefe.de
Immer wieder ein paar gute Provokationen, gelegentlich sehr pointiert aus dem beruflichen Kontext des Schreibers heraus. - Golem.de – www.golem.de
Die Nachrichtenseite rund um IT-Nachrichten für mich. Besonders interessant: die meist fachlich hochwertig geführte Diskussion auf den Foren. - t3n – t3n.de
Noch eine Nachrichtenseite, eher für das breitere Publikum.
Welchen Twitter und/oder Facebook-Profilen sollte man folgen?
Diese Frage habe zum Anlass genommen mal nachzusehen, wie vielen Twitter-Profilen ich folge: 328.
Immer wieder kommen neue hinzu. Wer interessiert wäre, kann nach meinem Profil suchen, und sich die für sie/ihn passenden herauspicken.
Zu Facebook kann ich nicht viel schreiben, denn dort bin ich zwar vertreten, aber nicht aktiv unterwegs.
Wo beziehst du sonst neues Usability-Wissen her?
- TED - www.ted.com
hier gibt es immer wieder anregende Vorträge.
Welche Konferenzen / Veranstaltungen empfiehlst du?
- Messen, wie bspw. CeBIT, Hannovermesse, IfA um die geballte Ladung an in Produkte umgesetzte Kreativität abzubekommen.
- "Mensch und Computer", insbesondere die dort zu findenden Vorträge der G|UPA-Mitglieder von Praktikern für Praktiker geben sicherlich immer wieder gute Anregungen und Bestätigungen zu „best practices“.
- Stammtische der G-UPA, die bekanntlich auch für Nicht-Mitglieder offen sind um auf lokaler Ebene Netzwerke mit anderen Fachvertretern und Praktikern zu bilden.
Was sind deine Lieblingstools im Usability-Bereich?
- Stift und Papier; besonders zu empfehlen ist die relativ einfach zu erlernende Zeichentechnik „bikablo“.
- Schere und Papier; damit kann man sehr schnell Prototyping betreiben, was sehr wichtig ist wenn man mit Nicht-Technikern über Nutzungskonzepte nachdenkt.
- Die Methode „Design-Thinking“, mittels der man unterschiedlichste Perspektiven in sehr effektiver Weise in Entwicklungsvorhaben einfangen kann.
Was ist die größte Herausforderung bei deiner Arbeit und was sind deine Lösungsansätze?
- Zum richtigen Zeitpunkt die passenden Menschen in einen Raum zusammenzubringen. Je früher, desto besser/interessanter/zielführender werden die dann gemeinsam entwickelten Ideen.
- Schon im Vorfeld werden Geschichten erzählt. Geschichten, die es den Zuhörern erlauben die Relevanz des Themas Usability für die eigenen Verantwortungsbereiche zu fühlen.
- Relevanz, die im besten Fall über den aktuellen Tag hinausgehen kann. Die mögliche Zukunft der eigenen Unternehmung beeinflusst.
- Usability als „Enabling“ für den Erfolg in der Zukunft. In natürlicher Weise spricht man dann nicht mehr nur noch über die Gestaltung des „User Interface“, „User Experience“, oder gar „Customer Experience“. Sondern über die im jeweiligen Markt relevanten „buzz-words“.
- Und das Schöne: die Usability Professionals können zu allen diesen Aspekten etwas Sinnvolles beitragen. Denn sie sind interdisziplinär aufgestellt.
Was wünscht du dir von der Usability Branche in Zukunft?
- Die Usability Branche, so es „die“ überhaupt gibt, sollte sich zum Vorreiter der Innovation machen. Aufzeigen, was geht. Fehlentwicklungen rechtzeitig helfen zu erkennen.
- Verbrauchern, Industrie und Politik zeigen, dass man „der Technik“ nicht hilflos ausgeliefert ist. Zeigen, dass Technik für die demokratische Gesamtheit gestaltbar ist.
- „Das geht nicht anders!“ durch ausgeprägte fachlich-technische Expertise umwandeln in „Das geht anders!“, indem sie sich von Anfang an in die Ideenfindung und Entwicklungsvorhaben aktiv einmischt. Nicht darauf wartet, bis sie jemand einlädt mitzumachen.
Welche Produkte haben aus deiner Sicht eine ausgezeichnete Usability?
Miteinander vernetzte Produkte, die mir als Verbraucher die Möglichkeit geben einzelne Elemente frei zu bestimmen.
Zurzeit das von mir bevorzugte Produkt ist das Nokia Lumia 1020 mit dem Betriebssystem Windows-Phone 8. In optimaler Weise ergänzt um Windows 8.1 auf meinem Laptop.
An welchen Projekten arbeitest du gerade?
Projekte mit direkter Kundenbeteiligung, die die Planung und Ausgestaltung, aber auch die Optimierung der User-Experience zum Gegenstand haben. Vom Innovationsmanagement, der Ausprägung von Usability-Engineering-Modellen bis hin zur Optimierung einzelner User-Interfaces.
Diese Projekte finden nicht nur in Deutschland statt. Und benötigen immer ein interdisziplinär zusammengesetztes Team.
Was war dein größtes „Aha-Erlebnis“ in Bezug auf Usability?
Die massiv negative und unmittelbare Wirkung des Einsatzes neuer Technologie, wenn Bedarfe der in einer Organisation arbeitende Menschen nicht berücksichtig werden. Ich empfehle jedem Verantwortlichen sich nicht nur in die Rolle des Nutzers hineinzuversetzen, sondern einmal mindestens einen Tag lang mit dem von ihm gestalteten, verantwortlich eingeführten technischen Hilfsmitteln im Team des Nutzers zu verwenden.