Rückblick Winter School 2018
Ein guter Start mit gutem Wein
Der Winter zeigte sich in diesem Jahr von seiner kalten Seite – dennoch schafften es alle zwölf aus knapp 30 selektierten Bewerber pünktlich zur mittlerweile alt-bewährten Tagungsstätte: Kloster Bronnbach. Nach einem gemeinsamen Abendessen in der neu gestalteten Orangerie und der anschließenden Vorstellungsrunde, ließen wir den Abend im klösterlichen Kellergewölbe bei ausgewählten und präsentierten taubertaler Weinen
ausklingen.
Tag 1: Quantität trifft Qualität
Nachdem Ludwig Fichte (Senior User Researcher, SAP SE, Walldorf) den offiziellen Teil der 2. German UPA Winterschool mit ein paar Worten zum Berufsverband und dem Arbeitskreis „Nachwuchsförderung“ eröffnete, stiegen die Teilnehmer direkt ein in das erste Thema.
Live User Tracking
Maria Händler (Leiterin UX Consulting, m-pathy GmbH, Dresden) führte die Teilnehmer durch die Kunst der quantitativen Nutzungsdatenanalyse. Das Verhalten von Website- Besuchern kann getrackt werden und lässt somit Rückschlüsse auf Usability-Probleme zu. Der große Vorteil dabei: Große Mengen an Daten können live erhoben werden, ohne dass sich die Nutzer im Laborsetting befinden oder ein künstlicher Kontext geschaffen werden muss. Mögliche Schwächen einer rein quantitativen Analyse können schließlich anhand von Onsite-Befragungen kompensiert werden, sodass ein Methodenmix auch im Webtracking angebracht sein kann. Typische Fragestellungen: „Wie viele Nutzer haben ein Problem? Welches Problem haben sie? Welchen Einfluss hat das Problem auf die Nutzung der Seite (z.B. den Bestellprozess)?
Im Anschluss daran stellte Maria anhand eines Fallbeispiels die konkrete Methode des A/BTestings vor. Hier können geringe aber wichtige Performanceunterschiede verhältnismäßig preiswert und einfach aufgedeckt werden – wenn auch keine Ursachenaussachen über Erfolg und Misserfolg ableitbar sind. Immer wieder ging Maria auf die Wichtigkeit eines Methodenmixes ein. Insbesondere die
Verknüfpung von getrackten Daten mit gezielt eingesammeltem Nutzerfeedback (z.B. durch Abbrecher-, Intentions- und Zielerreichungsbefragung) kann sehr wertvoll sein, um den Nutzungskontext besser einordnen zu können.
Der Hauptteil des Workshops war gekennzeichnet durch Arbeit in Kleingruppen, innerhalb derer die Teilnehmer zunächst Nutzerverhalten auf Basis einer Mouse-Tracking-Heatmap analysieren sollten, um schließlich Hypothesen darüber zu bilden, wie die Conversion Rate der betreffenden Website erhöht werden kann. Anschließend sollte eine A/B-Testing-Studie
konzipiert werden. Schlussendlich präsentierten und diskutierten die Teilnehmer die unterschiedlichen Herangehensweisen.
Service Design Thinking
Kilian Jäger (Senior Usability Engineer, 1&1 Telekom GmbH, Karlsruhe) entführte die Teilnehmer in die Faszination des mittlerweile weit verbreiteten Themas Design Thinking – mit dem Zusatz „Service“. Es geht dabei um mehr als nur die Gestaltung eines Produktes. Das klassische Produktdesign ist häufig limitiert durch die so genannte Product Experience. In den meisten Fällen existiert um ein Produkt jedoch ein dazugehöriger Service – das Einkaufserlebnis, der Support, der Service, die Nutzung selbst, bis hin zur Kündigung eines Vertrages; und dieser Service will auch gestaltet sein.
Es geht zunächst um ein Praxisbeispiel aus Kilians beruflicher Vergangenheit – einem Projekt aus dem Bereich Reisen und Reiseerlebnisse. Hier wurden ausführliche Studien (Interviews, Fokusgruppen, Tagebuchstudien, Retrospektiven, Feldbeobachtungen, Evaluationen) mit zahlreichen Nutzern durchgeführt, um ein möglichst umfassendes Bild verschiedener
Reisererlebnisse zeichnen zu können. Wichtig dabei war stets, nicht nur die Verbesserung bestehender Features im Sinn zu haben, sondern die Features an sich zu hinterfragen – welche Bedürfnisse stecken denn eigentlich dahinter?
Im zweiten Teil des Workshops wurde es zunehmend praktisch. Begonnen wurde mit kurzen Erlebnisinterviews zum Thema Fernsehen – „Was ist Fernsehen für dich heute?“. Die Teilnehmer interviewten sich gegenseitig über ein besonders schönes Fernseherlebnis zu Hause; wie sie den Abend erlebt hatten, was besonders war, wie sie sich dabei gefühlt hatten. Hier ging es zunächst darum, Empathie und Offenheit gegenüber anderen Erlebnissen aufzubauen, gegebenenfalls selbst neue Denkanstöße zu erhalten.
Nachdem Kilian anschließend näher auf die einzelnen Phasen des Design Thinking eingegangen ist und die verschiedenen Interpretationen unterschiedlicher Unternehmen erläuterte, ging es weiter mit zahlreichen kleinen Übungen, um von den Erkenntnissen aus den geführten Interviews über Brainstorming Sessions, Scribbles, Wireframes, Customer Journeys und Personas bis hin zur Formulierung von Design Challenges.
Die Zeit verging viel zu schnell – am Ende des 4stündigen Workshops konnten die Gruppen gegenseitig die Ergebnisse vorstellen, Feedback geben und abschließend diskutieren.
Abend zum Thema „Beruf“
Nach einer gemeinsamen Klosterführung und wohl verdientem Abendessen war es Zeit für den letzten heutigen Programmpunkt – der Berufsabend. Bekannt aus der Summer School,
hatte unser Moderator etwas Neues ausprobiert: Jeder Teilnehmer durfte ein bis zwei Karten ziehen, auf welchen berufs- oder bewerbungsbezogene offene, teils systemische und teils konkrete Fragen standen; Ziel war es, die jeweiligen Fragen vor der Gruppe für sich selbst zu beantworten und gegebenenfalls andere Meinungen zu diskutieren. Gestartet wurde mit der Frage „Über welches Medium glaubst du kommunizierst du in 10 Jahren am häufigsten?“ – diese Frage allein hatte genug Potential, dass die daraufhin angeregte Diskussion sich entwickelte zu philosophisch angehauchten Auseinandersetzungen über zukünftige Kommunikationsmedien, den technologiebedingen, vermuteten Rückgang sprachlicher Kommunikationsfähigkeiten, das Potential und die Gefahren künstlicher Intelligenz, Herausforderungen des Bildungssystems im Zeitalter des Machine Learning, die Tücken der menschlichen Interaktion mit Computersystemen, entwicklungsgeschichtliche Diskurse über die Vergleichbarkeit gesellschaftlicher Anforderungen an unterschiedliche Generationen, Zugewinn neuer Freiheiten vor dem Hintergrund bedenklicher Risiken und Sicherheitseinbußen. Nach etwa drei Stunden und nur vier weiteren diskutierten Fragen war der erste Tag der Winter School vorüber.
Tag 2: Prototyping und Bestandssysteme
Axure Workshop
Am heutigen Tag war zunächst Frederik Bader zu Gast (Usability Engineer, Verivox GmbH, Heidelberg), der seine langjährige Expertise mit Axure in Form eines Prototyping-Workshops vermittelte. Nach nur ein paar einleitenden theoretischen Worten zum Thema Prototyping und den einzelnen Bereichen der Software selbst, stiegen die Teilnehmer schnell ein in praktische Übungen. Es ging um die Gestaltung einer Reiseseite. Zunächst sollte ein statischer Prototyp entwickelt werden, um im Anschluss daran Interaktionen hinzuzufügen. Als Grundlage diente ein Balsamiq-Prototyp. Nach den ersten statischen Elementen, wurde schließlich auch mit Dynamic Panels gearbeitet. Die Teilnehmer kamen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen in den Workshop, was Frederik durch persönliche Hilfestellungen und konkrete, auch fortgeschrittene Tipps sehr gut kompensieren konnte.
Frederik hatte für alle Teilnehmer der Winter School eine 100-Tages-Axure-Lizenz besorgen können, sodass auch im Nachgang des Workshops noch die Möglichkeit bestand, von der Software zu profitieren.
Transfusing modern UX in an existing system
Der letzten Workshop der diesjährigen Winter School wurde vom Sponsor der Veranstaltung gegeben: Ergosign GmbH. Christian Grieger (UX Manager) und Sven Fackert (UX Researcher und UI Developer) stellten ihre Expertise aus jahrelanger Arbeit im Bereich B2B zu verfügung – wie gehe ich mit der Herausforderung um, UX Design für Bestandssysteme zu entwickeln? Wie bringe ich frischen Wind in bestehende Umgebungen? Welche Methoden und Techniken kann man hierfür anwenden?
Anhand eines fiktiven Szenarios (Musik-Auswahl während der Fahrt im Auto, auf einer entsprechenden mobilen App, ohne Internetzugang) und vieler kleiner praktischer Übungen lernten die Teilnehmer verschiedene Kreativtechniken kennen: Brainwriting aka 6-3-5- Methode; Three Socks; Design Studio.
Nachdem Christian noch einen Überblick über verschiedene Prototyping-Tools gab und kurzdarüber diskutiert wurde, wie bestimmte Stakeholder durch Evaluationsergebnisse überzeugt werden können, stellte im zweiten Teil des Workshops Sven die so genannte Modellbasierte Usability-Evaluation vor – eine kostengünstige und schnelle Methode, um basierend auf kognitiven Modellen insbesondere die Performanz von Software zu evaluieren. Er stellte ein aktuelles Forschungsprojekt vor – SIBED – dessen Ergebnisse in ein neues Tool zur modellbasierten Evaluation einflossen und nun auch Rückschlüsse auf
Erlernbarkeit und Fehlerwahrscheinlichkeit zulässt. Eine solche Analyse kann insbesondere bei solchen Aufgaben sinnvoll sein, die hoch-repetitiv sind – wie es im Bereich Enterprise Software oftmals der Fall ist. Eine Effizienzsteigerung von 20 Sekunden pro Aufgabe, kann hier schon einen großen Unterschied machen.
Viel gelernt und unterhalten
Die Winter School war auch in ihrer zweiten Edition ein voller Erfolg – es gab mehr Bewerber als im Vorjahr, und sowohl Teilnehmer als auch Referenten konnten viel mitnehmen. Es konnte viel gelernt werden, wobei es auch viel Gelegenheit zu Diskussionen, Gesprächen und Informationsaustausch gab. Auf dass wir auch im nächsten Jahr wieder eine schöne Runde zusammenbekommen!
Eindrücke von Teilnehmerin Lena Brandt in englisch
https://developer.epages.com/blog/events/young-ux-evangelists-in-a-monas...