German UPA | Beitrag vom 17.10.2013 –
UX-Trends – Zu viel Hype und zu wenig kritischer Austausch in der Community?
“UX Trends” und Austausch in der UX Community
User Experience Design ist ein hoch dynamisches Feld, in dem Akteure verschiedenster Disziplinen bei der Gestaltung von User Experiences zusammenarbeiten. Aufgrund der Heterogenität und Dynamik der UX Community ist es schwierig bis unmöglich, alle Informationen und Standpunkte zu verfolgen, kritisch zu bewerten und einzuordnen. Dies führt zum Teil dazu, dass Ideen und Konzepte etabliert werden, die einer kritischen Betrachtung nicht standhalten, was sich auf Dauer für die Profession als hinderlich oder sogar schädlich erweisen kann. Dies soll im Folgenden anhand einiger Beispiele illustriert werden.
Worüber reden wir eigentlich? – Unklare Konzepte
Zuweilen sind Diskussionen in der UX Community schon zum Scheitern verurteilt, bevor sie überhaupt begonnen haben, weil die Beteiligten bezüglich essenzieller Konzepte unterschiedliche Definitionen anlegen, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Undifferenzierte Diskussionen - zum Beispiel: Müssen UX Designer coden können?
Ein inzwischen schon „klassisches“ Thema, das immer wieder auf Twitter und in der Blogosphäre auftaucht, betrifft die Frage, ob UX Designer auch fähig sein sollten Code zu schreiben. Offensichtlich kommt man hier zu unterschiedlichen Ansichten, abhängig davon, ob man sich mit „UX Design“ auf Web Design (HTML, CSS etc.) bezieht oder ob man auf native Applikationen (beispielsweise in C# oder Java) abzielt. Im Web Design sind Ein-Mann-Projekte keine Seltenheit, während sie im Feld der nativen Applikationen die Ausnahme darstellen. Das Explizieren von Konzepten könnte bei solchen Diskussionen sehr viele Missverständnisse und fruchtlose Diskussionen vermeiden, die dadurch entstehen, dass schon bezüglich der grundlegenden Konzepte keine Einigkeit besteht.
Gerade das Konzept „UX Design“ scheint – trotz Normierungsansätzen – in der praktischen Diskussion noch weit von einer Klärung entfernt. Es ist daher dringend anzuraten, dieses und andere Konzepte als Diskussionsgrundlage zunächst explizit zu machen, um implizite Missverständnisse und fruchtlose Diskussionen, die die Community nicht voran bringen, ausschließen zu können.
Pseudo-Psychologie – Dafür muss man mehrere Jahre studieren?
Erkenntnisse zum Erleben und Verhalten von Menschen, wie die Psychologie sie liefert, sind für das UX Design von großer Bedeutung. Problematisch wird es, wenn psychologische Erkenntnisse über Gebühr vereinfacht werden. Dann bleibt am Ende eine „Pseudo-Psychologie“ als „Wissenschaft des Offensichtlichen“ übrig, die mit der realen Disziplin kaum noch etwas gemein hat. Dies ist nicht zuletzt unbefriedigend für die Psychologen, die im Bereich UX Design tätig sind.
Wenn Daumenregeln nicht mehr ausreichen
Eine derartige vereinfachte „Übersetzung“ von Befunden aus der Psychologie zeigt sich beispielsweise in Form der Richtlinie „Prefer recognition over recall“. Diese besagt, dass Elemente leichter wiedererkannt als erinnert werden können und daher dem Anwender beim Wiedererkennen die Arbeit erleichtert wird. Auch wenn dies in vielen Fällen zutrifft, so handelt es sich nicht um einen allgemeingültigen kognitiven Mechanismus. Das Phänomen der „Recognition Failure“ zeigt, dass es durchaus auch möglich ist, dass Elemente leichter erinnert als wiedererkannt werden. Dieser kontraintuitive Befund zeigt, dass die Funktionsweise des kognitiven Systems komplexer ist, als die einfachen „psychologischen“ Richtlinien es vermuten lassen. Die Psychologie hat also offenbar mehr zu bieten, als das, was mit „gesundem Menschenverstand“ ohnehin als offensichtlich erscheint.
Mit zunehmender Professionalisierung und Differenzierung im Bereich UX Design wird es erforderlich, spezifischere Details von Nutzungskontexten, Aufgaben und Anwendern zu berücksichtigen. Es ist dann derjenige UX Professional einen Schritt voraus, der über einfache „Daumenregeln“ hinaus mit den differenzierteren Betrachtungen des menschlichen Erlebens und Verhaltens vertraut ist, wie sie in der Psychologie angestellt werden.
Warum eine Methode durchdringen, wenn man stattdessen auch eine neue verwenden kann? – Neue Methoden statt neuer Erkenntnisse
Durch kontinuierliche Weiterentwicklungen in der Domäne steht UX Professionals ein immer reichhaltigeres Arsenal von Methoden zur Verfügung. Leider kann diese Dynamik, verbunden auch mit einem Wettbewerb zwischen UX Professionals, dazu führen, dass Methoden zum Einsatz kommen, die nur unzureichend reflektiert oder verstanden werden.
Methoden ohne standardisierte Prozedur - Beispiel Eye Tracking
Dies kann z.B. auf die Methode Eye Tracking zutreffen. Ohne Zweifel sind die Video-Overlays oder Heatmaps, die hierdurch erstellt werden können, eindrucksvoll. Eines der Probleme der Methode liegt jedoch in ihrer Scheinplausibilität: ein einfaches Schema der Form „Fixation – Aufmerksamkeit – kognitive Verarbeitung – Verhalten“ mag zwar plausibel erscheinen. Jedoch ist bereits der Zusammenhang zwischen Fixation und Aufmerksamkeit ein interpretativer Schritt, der in seiner Schlichtheit nicht immer gerechtfertigt ist. Hinzu kommt, dass die Fixations-Messung keine standardisierte Prozedur ist. Zwei Eye Tracker können mit unterschiedlichen Algorithmen zur Fixationsbestimmung arbeiten und auf Grundlage identischer Rohdaten (d.h. Blickbewegungen) unterschiedliche Fixationswerte und Fixationsmuster zurückliefern. Die Messung von Blickbewegungen ist also bei weitem nicht mit z.B. der Messung einer Temperatur zu vergleichen, bei der es in der Regel unabhängig vom Messgerät möglich ist, den wahren Wert zu ermitteln.
Methoden im UX Design sollten hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit und Aussagekraft reflektiert eingesetzt werden. Bei neuen Methoden empfiehlt es sich, diese zunächst auf den Prüfstand zu stellen, um Aufschluss zum Beispiel über Objektivität, Reliabilität und Validität zu erhalten. Auf diese Weise kann es vermieden werden, eine Methode rein aufgrund ihrer Neuheit als überlegen zu bewerten.
Fazit
Vielfalt und Dynamik im UX Design sind grundsätzlich begrüßenswert. Jedoch ist hierdurch auch jeder UX Professional persönlich in der Pflicht, bezüglich Arbeit und Kommunikation gewisse Standards einzuhalten. Diese sollen gewährleisten, dass die UX Community sich stetig weiter entwickeln kann, während gleichzeitig das Risiko minimiert wird, dass wenig fundierte Ideen auf Dauer Eingang finden. Im Zweifelsfall sollte der Aspekt der Sorgfalt höher gewichtet werden als der der Neuheit.
Dieser Post ist eine aktualisierte Zusammenfassung eines Vortrages von Dr. Markus Weber auf der German-UPA-Konferenz "Usability Professionals 2012". Weitere Informationen und der vollständige Beitrag "Nur weil es viele Retweets kriegt, ist es noch lange nicht richtig" im digitalen Tagungsband.
Über Dr. Markus Weber
Dr. Markus Weber leitet den Bereich Usability Engineering bei der Centigrade GmbH. Er beschäftigt sich unter anderem mit dem Interaktionsdesign und der Usability Evaluation von Systemen in verschiedensten Domänen wie ERP Software und Consumer Anwendungen. Außerdem ist er aktiver Blogger und Twitterer und trägt regelmäßig zu Fachkonferenzen im UX Umfeld bei.
Twitter: https://twitter.com/MarkusWeber/
Centigrade Blog: http://www.centigrade.de/de/blog/