German UPA | Beitrag vom 24.04.2014 –
„Ich würde jetzt anrufen“ - Webshops aus Sicht älterer Nutzer
1.Warum die Generation 50plus so wichtig ist
Bei der Gestaltung und Evaluation von Webseiten wird meist mit derselben Zielgruppe gearbeitet, die auch beim Marketing im Vordergrund steht: den 14- bis 49-Jährigen. Die Generation der über-50-Jährigen wird dabei in der Regel ignoriert: sei es, dass Unternehmen Berührungsängste haben und ungern mit dieser Nutzergruppe in Verbindung gebracht werden möchten, sei es, dass spontane Gestaltungs-Assoziationen wie große Schrift und reduziertes Design als unattraktiv gewertet werden, oder weil man dieser Nutzergruppe unterstellt, ohnehin am liebsten im Geschäft oder telefonisch Kontakt aufzunehmen – ein Fehler ist es in jedem Fall. Denn die Generation 50plus…
- verfügt bereits heute über 47% der Kaufkraft in Deutschland (GFK Geo-Marketing, 2013).
- ist aktuell die Bevölkerungsgruppe mit den größten Zuwachsraten bei der Internet-Nutzung. 76% der 50-59-Jährigen und 60% der 60-69-Jährigen sind inzwischen in Deutschland online.
Für validere Ergebnisse wäre es daher zielführend, bei der Evaluation von Webseiten auch ältere Nutzer mit einzubeziehen. YOUSE befasst sich seit mehreren Jahren intensiv mit der Generation 50plus als Zielgruppe und möchte die Community der Usability Experten dazu ermuntern, das eigene Bewusstsein – und auch das der Auftraggeber – für die Belange der „Silver Surfer“ zu schärfen.
2.Usability-Studie: Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Webshop-Nutzern
Auch wenn es sehr starke individuelle Unterschiede gibt, so lässt sich die Generation 50plus doch in zweierlei Hinsicht als besondere Nutzergruppe beschreiben: in Bezug auf ihre geringere Internet-Expertise und in Bezug auf typische körperliche und mentale Alterserscheinungen. Inwiefern sich diese Eigenschaften auf die Ergebnisse eines Usability-Tests niederschlagen, haben wir in einer Evaluationsstudie von Online-Shops für Veranstaltungstickets mit je neun jüngeren (Altersrange 17-25 Jahre) und älteren (56-82 Jahre) Webnutzern überprüft.
Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass die schwerwiegendsten Usability-Probleme, auf die die Tester bei der Durchführung der Use Cases stießen, in beiden Nutzergruppen gleichermaßen auftraten, wie zum Beispiel rigide Suchmaschinen, missverständlich benannten Buttons oder Kategorien, oder zu kleine Sitzpläne. Allerdings zeigte sich auch deutlich, dass die jüngeren Nutzer mit auftretenden Bedienproblemen besser umgehen konnten und (zielführende) Alternativlösungen fanden, während die älteren Nutzer leichter aus dem Konzept kamen und sich in Untermenüs oder irrelevanten Suchergebnissen verloren. Dieselben Designschwächen hatten bei älteren Nutzern also viel schwerwiegendere Auswirkungen und verhinderten in mehr als der Hälfte der Fälle die Zielerreichung (4,3 vs. 8,0 gelöste Use Cases) - und somit im Ernstfall den (Online-)Ticketkauf. Entsprechend hoch waren in der Seniorengruppe die subjektiven Ratings der Schwierigkeit und der Frustration (siehe Tabelle).
Eine qualitative Analyse der Testaufzeichnungen ergab typische Charakteristika im Vorgehen älterer Nutzer:
- Die Orientierung innerhalb einer Webseite oder zwischen geöffneten Tabs ist eher schlecht.
- Dieselbe Prozedur wird mehrfach wiederholt anstatt neue Lösungswege auszuprobieren.
- Suchfelder werden nicht zielführend genutzt (komplizierte, lange Suchausdrücke mit vielen Sonderzeichen).
- Usability-Schwächen der Webseite verhindern in vielen Fällen den Kaufabschluss.
Der Kontakt zum Kundendienst ist die Folge. Umgekehrt würde also eine Verbesserung der Webseite gerade im Hinblick auf die Belange der Generation 50plus einerseits die Conversion Rate für diese – kaufkräftige – Zielgruppe deutlich erhöhen, und andererseits die Hotline-Mitarbeiter deutlich entlasten.
3.Fazit: Die Generation 50plus einbinden
Die Generation 50plus sollte von Usability Experten stärker als potenzielle Nutzergruppe wahrgenommen und entsprechend in das User-Centered Design integriert werden. Einerseits stellt sie in nicht allzu ferner Zukunft die größte, zahlkräftige Kundengruppe, andererseits ist sie als Extremgruppe besonders sensibel für potenzielle Usability-Fehler.
Das komplette Studiendesign, Tipps für generationenübergreifende Webshops sowie zum Umgang mit Testern der Generation 50plus findet Ihr in der Vollversion (pdf).
Link zur Langform des Konferenzbeitrages zur Usability Professionals '13: „Ich würde jetzt anrufen“ - Webshops aus Sicht älterer Nutzer.
Über die Autoren
Dipl.-Psych. Cornelia Schauber ist Diplom-Psychologin mit einem Faible für empirische Forschung, Emotionen und Mensch-Maschine-Interaktion. Nach dem Studium arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Arbeitswissenschaft an der Universität der Bundeswehr im Exzellenzcluster „CoTeSys“ an der automatisierten Emotionserkennung für die Robotik. Seit 2010 gehört Cornelia zum Team der YOUSE GmbH München und ist dort als Projektleiterin für die Planung und Durchführung von Nutzerstudien und die statistische Datenanalyse zuständig.
Dr. Christoph Nedopil begeisterte sich schon während seines Studiums an der TU Berlin für die kundenfreundliche Produktgestaltung. Um diesem Thema auf den Grund zu gehen, schrieb er ein Buch über Komplexität und erforschte bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman und zahlreichen Fahrzeugherstellern die User Integration in der Automobilindustrie. Während seiner Arbeit an der Schweizer Business School IMD International und als Berater für die Weltbank erlernte er zahlreiche Unterrichts- und Kreativitätstechniken. Um das gesammelte Wissen in die Praxis umzusetzen, gründete Christoph (zusammen mit Sebastian Glende) die YOUSE GmbH. Sein erklärtes Ziel ist es, eine Brücke zwischen Entwicklern, Produkt und Anwendern zu schlagen, damit am Ende sowohl die Nutzer als auch die Entwickler begeistert vom fertigen Produkt sind.
Der promovierte Wirtschaftsingenieur Sebastian Glende beschäftigt sich mit innovativen Ansätzen der User Integration. Vor der Gründung der YOUSE GmbH forschte und arbeitete er an der TU Berlin und an der Victoria University of Wellington, New Zealand. Als externer Lehrbeauftragter hielt Sebastian an der TU Berlin die Vorlesung „Ergonomic Design and User Integration“ und leitete die Senior Research Group – eine Gruppe von 20 Senioren, die sich an Innovationsprozessen für Produkte und Dienstleistungen beteiligt. Sebastian war und ist in mehreren Institutionen und Funktionen aktiv, z.B. am Innovationszentrum Gesundheit & Ernährung in den Bereichen Gesundheitsmonitoring und User Integration, als ehemaliger Sprecher des vom Bundesfamilienministerium geförderten „Transferzentrum Generation Plus“ sowie im Standing Committee „Ergonomics Quality In Design“ der International Ergonomics Association.
Während ihres Architekturstudiums gründete Tina Weisser eine Branding- und Konzeptionsagentur mit Sitz in München (Starshot GmbH & Co. KG), die sie 10 Jahre leitete. Seit einem zweijährigen Sabbatical ist sie u.a. Lehrbeauftragte an der Gestaltungshochschule Darmstadt (Industrie- und Kommunikationsdesign) und beschäftigt sich mit strategischer User Insight- und Designforschung.
Christian Wedl ist Student der Technologie-und Managementorientierten BWL an der TU München und Studentischer Mitarbeiter der YOUSE GmbH. In seinem Studium legte er einen starken Fokus auf die Bereiche Technologiemanagement und Produktentwicklung und hat während längeren Praxistätigkeiten in den Entwicklungsabteilungen der EWE AG und der Siemens AG einige Einblicke in die Bereiche Projektmanagement, Produkt- und Business Model Entwicklung gewinnen können. Seit März 2013 ist Christian Teil des YOUSE Teams und freut sich das Thema Produktentwicklung aus Nutzersicht kennen zu lernen. Neben seiner Tätigkeit bei YOUSE versucht er sein Wissen auch in Projekten der Ingenieure ohne Grenzen einzubringen und weiterzugeben.