German UPA | Beitrag vom 10.04.2014 –
User Experience in Kanban - Die UX-Karte ausspielen
Einleitung
Kanban ist eine Managementmethode, die in IT-Organisationen für die agile Softwareentwicklung eingesetzt wird. Hierbei werden Arbeitsaufgaben auf einem „Kanban-Board“ so organisiert, dass in Form von Spalten die einzelnen aufeinanderfolgenden Aktivitäten (Implementierung, Testen, etc.) der Wertschöpfungskette nach nacheinander durchlaufen werden. Die Spalten und deren Reihenfolge richten sich dabei nach den jeweiligen Prozessen des Unternehmens und unterscheiden sich deshalb von Fall zu Fall. Die Aufgaben selbst werden in Kanban auf gedruckten Karten (oder als Tickets in einem Ticketsystem) dargestellt. Wurde in einer Spalte die Bearbeitung der Aufgabe abgeschlossen, so wandert die Karte weiter zur nächsten Spalte, bis schließlich die letzte erreicht wird. Die Anzahl der Aufgaben einer Aktivität darf eine festgelegte Größe (pro Spalte definiert) nicht überschreiten. Dadurch soll festgestellt werden, welche der Aktivitäten der Flaschenhals des Prozesses ist. So können die Kapazitäten der einzelnen Aktivitäten angepasst werden und der konstante Fluss von Aufgaben wird gefördert.
Im Gegensatz zu anderen Managementmethoden (z.B. Scrum) wird von Kanban nicht gefordert, dass kommende Aufgaben im gesamten Team inhaltlich besprochen oder geplant werden. Die Kanban-relevanten Besprechungen (z.B. Teamretrospektive) fokussieren besonders die Optimierung des Kanban-Prozesses. Inhaltliche Aspekte des Projektes bleiben dabei jedoch außen vor, weshalb eine Nutzerzentrierung nicht gefördert wird. Wie aber können wir einen Softwareentwicklungsprozess nach Kanban bezüglich der nutzerzentrierten Gestaltung optimieren?
Integration der nutzerzentrierten Gestaltung in Kanban
Im Folgenden werden Ansätze gezeigt, welche die nutzerzentrierte Gestaltung stärker in einem Kanban-Prozess verankern.
Release Evaluation
Im Laufe der Zeit sammeln sich immer mehr abgearbeitete Aufgaben in der letzten Spalte des Boards. Diese hat in der Theorie keine Begrenzung, kann aber ein Maß dafür sein, wie viel Änderungen ein Produkt seit der letzten Veröffentlichung erhalten hat. Eine Begrenzung für die letzte Spalte kann Startpunkt für eine, in regelmäßigen Zyklen stattfindende UX-Evaluation sein. Immer wenn z.B. 40 Aufgaben bewältigt wurden, wird eine neue Version des Produkts getestet und ggf. veröffentlicht.
Überwinden von Teamgrenzen
Konzepter, Designer, Programmierer, Entwickler, etc., die jeweils eine Aktivität im Entwicklungsprozess bewältigen, bilden soziale Grenzen zu den anderen Teams. Dies führt dazu, dass sich Wissen nicht verbreitet. Werden diese Grenzen z.B. durch gemeinsame Besprechungen abgebaut, können Ideen früher von unterschiedlichen Seiten betrachtet und optimiert werden. Beispielsweise kann ein UX-Experte bei der Konzeption eines neuen Features einen Frontend-Entwickler zur Beratung hinzuziehen. Der Frontend-Entwickler kann mit seinem Wissen die Ideen aus technologischer Sicht hinsichtlich Umsetzbarkeit und Aufwand bewerten. Darüber hinaus kann er Vorschläge zur Optimierung der Idee beisteuern. Gemeinschaftliche Weiterentwicklung der Idee führt zu einer besseren Lösung, die sich positiv auf die User Experience des zu entwickelnden Produktes auswirkt. Außerdem werden Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Teams nach und nach abgebaut, wodurch das „Stille Post“-Prinzip verhindert werden kann.
Verwendung von Persona-driven User Storys
Kanban schreibt vor, dass die umzusetzenden Aufgaben am Board dokumentiert werden. Kanban schreibt dabei aber nicht vor, wie diese Aufgaben zu definieren sind. Werden neue Funktionen mit Kanban entwickelt, können diese als Persona-driven User Storys beschrieben werden. Diese spezielle Form von User Storys steht in direkter Verbindung zu einer Persona und bietet den Vorteil, dass der Nutzer nicht als anonymes Wesen angesehen wird. Werden Persona-driven User Storys verwendet, werden die Personas nicht nur in der Konzeption genutzt, sondern explizit bis zu den Entwicklern transportiert.
Verwendung von Prototypen
Die Spalten des Kanban-Boards folgen dem Prozess, der für die Umsetzung von Anforderungen durchlaufen wird. Soll ein Prototyp entwickelt werden bevor eine Funktion für das Produkt entwickelt wird, können die dafür notwendigen Schritte als weitere Spalten eingebunden werden. Hierzu können beispielsweise eine Umsetzungsspalte und eine Evaluationsspalte für Prototypen noch vor der eigentlichen Programmierung eingefügt werden. Das hat den Vorteil, dass neue Funktionen auf ihrem Weg über das Board grundsätzlich durch die Spalten des Prototypens gehen. So kann die Erstellung eines Prototypens nicht vergessen werden.
Erweiterung um weitere Kanban-Boards
Eine Integration eines HCD-Prozesses ist aufgrund der Fülle an Aktivitäten innerhalb eines einzelnen Kanban-Boards schwer umzusetzen. Daher ist eine Erweiterung des Kanban-Prozesses nach „vorne“ durch ein weiteres Konzeptionsboard sinnvoll. Dadurch können Konzeptionsarbeiten in gleicher Art und Weise organisiert werden, wie die Umsetzung. Um unterschiedliche Teams abzubilden (z.B. Konzeptionsteam, Programmierteam, Administrationsteam, etc.) können auch mehrere Boards nebeneinander genutzt werden. Ergebnisse der Konzeption wandern dann vom Konzeptionsboard zum Entwicklungsboard und können anschließend durch ein Administrations- oder Technikteam ausgeliefert werden. Dieses Vorgehen ermöglicht es Engstellen zwischen den Teams aufzudecken, wenn beispielsweise die Konzeption nicht schnell genug vorankommt, um die Programmierer zu beliefern.
Obwohl beim Einsatz mehrerer Kanban-Boards die Teams getrennt werden können, sollten Aufgaben gemeinsam geschätzt und abgestimmt werden. Dies kann zum Beispiel durch Meetings einer teamübergreifenden Gruppe erfolgen. Die Ergebnisse der Beurteilung bilden die Grundlage für die Einplanung der Aufgaben auf den Boards. Auch sollten alle Teams gemeinsam an den Daily Standup-Meetings teilnehmen, so dass sowohl das Entwicklungsteam über zukünftige Aufgaben informiert ist als auch das Konzeptionsteam aktuelle Probleme der Umsetzung kennt. Dies fördert den Austausch zwischen allen Teams und sorgt dafür, dass alle eine Gesamtübersicht über das Projekt bekommen.
Weitere Informationen und Links
Kanban und UX from designik Beitrag der Autoren im Tagungsband der Usability Professionals 2013.
Über die Autoren
Dominique Winter arbeitet als Senior Produktmanager bei der Buhl Data Service GmbH. Seine derzeitigen Schwerpunkte sind User Experience Design und Softwarekonzeption im Bereich Vereinsmanagement. Zudem ist er Mitglied einer Forschungsgruppe der HS Emden/Leer und beschäftigt sich hauptsächlich mit der Vereinbarung von User Experience, Innovationsmanagement und Produktmanagement.
Eva-Maria Schön ist als Consultant bei der 7P Solutions & Consulting AG tätig. Das Unternehmen ist Teil der SEVEN PRINCIPLES (7P) Group, einer international agierenden Unternehmensberatung mit IT-Fokus. Ihr Schwerpunkt bildet das User Experience Design in agilen Entwicklungsprozessen. Dabei übernimmt sie die Rolle des Product Owners. Zudem ist sie Mitglied einer Forschungsgruppe der HS Emden/Leer und beschäftigt sich mit Methoden aus den Bereichen User Experience und Usability.
Jan Uhlenbrok schloss nach seinem Studium der Medieninformatik 2010 die Weiterbildung zum zertifizierten Usability Engineer am Fraunhofer Institut erfolgreich ab. Seit Anfang 2011 Teamleiter der Qualitätssicherung- und Usability-Abteilung in einem regionalen Medienhaus, wo er in allen Bereichen nach der Kanban-Methode arbeitet. Schreibt ansonsten in seinem Blog über gute und schlechte Usability, wo immer sie ihm begegnet.
Dr. Jörg Thomaschewski ist Professor für „Internetanwendungen“ an der Hochschule Emden/Leer mit den Lehr- und Forschungsschwerpunkten Human Computer Interaction, E-Learning, Softwaretechnik. Er ist Autor verschiedener Online-Module, u.a. „Mensch-Computer-Kommunikation“, das im Rahmen der Virtuellen Hochschule (VFH) an sechs Hochschul-Standorten eingesetzt wird. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen in Usability-Schulungen, Analysen und Beratungen.