German UPA | Beitrag vom 10.02.2025
Designing for Wellbeing: Wie UX unser digitales Wohlbefinden beeinflusst

Ob wir unser Handy 150-mal am Tag entsperren oder ganze vier Stunden und 37 Minuten täglich auf den Bildschirm starren – die Art, wie digitale Produkte gestaltet sind, hat enorme Auswirkungen auf unser Wohlbefinden. Doch wie können UX-Designer*innen dazu beitragen, dass Technologie uns unterstützt, anstatt uns süchtig zu machen? Genau darum ging es im Webinar Designing for Wellbeing – Integrating Human Needs into UX Design mit Carolin Schmitt, Principal Design Researcher beim Stuttgarter Innovationsstudio Phoenix.

Caro führte durch ein inspirierendes Gespräch darüber, wie Design unsere psychologischen Grundbedürfnisse adressieren kann – und warum es oft daran scheitert.

Bild Designing for Wellbeing

Auf einen Blick

Gutes UX-Design sollte nicht süchtig machen, sondern das digitale Wohlbefinden der Nutzer*innen fördern, indem es ihre psychologischen Grundbedürfnisse berücksichtigt und Ablenkungen minimiert.

  • Wellbeing-orientierte UX: UX-Design beeinflusst unser Wohlbefinden direkt und sollte gezielt positive Erlebnisse schaffen, anstatt Aufmerksamkeit auszubeuten.
  • Typische UX-Fallen: Unnötige Features, übermäßige Datenauswertung und zu viele Personalisierungsoptionen führen oft zu Stress statt Nutzen.
  • B-Goals, Do-Goals, Motor-Goals: UX sollte sich an den eigentlichen Bedürfnissen der Nutzer*innen orientieren und keine überflüssigen Interaktionsschritte erzeugen.
  • Vier Designprinzipien für Wellbeing: Nutzerintentionen priorisieren, Informationsflut vermeiden, Exploration ermöglichen ohne Ablenkung, kontinuierlich testen.
  • Verantwortung der Designer*innen: UX kann süchtig machen oder echte Mehrwerte liefern – die Entscheidung liegt in den Händen der Gestalter*innen.

UX und Wellbeing – Wie hängt das zusammen?

Das Wohlbefinden (Wellbeing) ist nicht einfach nur ein Wellness-Gefühl, sondern umfasst verschiedene Dimensionen unseres Lebens: körperliche Gesundheit, soziale Verbundenheit, Sicherheit, Autonomie und viele weitere Aspekte. Caro stellte ein Framework mit sieben Wellbeing-Dimensionen vor, das hilft, UX-Design konsequent an den echten Bedürfnissen der Nutzer*innen auszurichten.

Dabei betonte sie eine zentrale Erkenntnis: Wenn ein psychologisches Bedürfnis durch eine digitale Interaktion erfüllt wird, entsteht ein positiver Wellbeing-Moment. Genau das sollte das Ziel von UX sein.

Doch die Realität sieht oft anders aus. Warum?

Warum digitale Produkte oft gegen unser Wohlbefinden arbeiten

Ein Großteil der digitalen Welt ist darauf ausgerichtet, unsere Aufmerksamkeit möglichst lange zu binden. Statt eine positive Erfahrung zu schaffen, die uns langfristig hilft, setzen viele Apps auf Mechanismen, die uns süchtig machen:

  • Unendliche Scroll-Feeds
  • Push-Benachrichtigungen, die ständig Ablenkung erzeugen
  • Design-Entscheidungen, die uns zu unnötigem Engagement verleiten

Diese Systeme erzeugen eine negative UX, die Nutzerinnen dazu bringt, sich selbst „Hürden“ zu bauen, um weniger Zeit am Smartphone zu verbringen. 

Als Beispiel nannte sie Menschen, die absichtlich ihr Handy auf Schwarz-Weiß-Modus stellen, um es unattraktiver zu machen. Oder den wachsenden Markt für sogenannte "Dumb Phones", die bewusst keine Smart-Funktionen haben – nur um uns wieder Kontrolle über unsere eigene Zeit zu geben.

„Negative UX als Lösung für schlechte UX – das kann doch nicht unser Anspruch als Designerinnen sein!"

Caro Schmitt

Die drei Grundelemente von Wellbeing-fokussierter UX

Um UX wirklich für das Wohlbefinden zu optimieren, stellte Caro ein weiteres Modell vor:

1. Be-Goals – Die Grundbedürfnisse der Nutzer*innen

Warum nutzen wir eine App oder ein digitales Produkt überhaupt? Unsere psychologischen Grundbedürfnisse treiben unser Verhalten. Dazu gehören z. B.:

  • Kompetenz: Wir wollen uns fähig und erfolgreich fühlen.
  • Verbundenheit: Wir möchten sozial eingebunden sein.
  • Stimulation: Wir suchen nach neuen, interessanten Erfahrungen.

2. Do-Goals – Die eigentlichen Aufgaben der Nutzer*innen

Was möchte jemand mit dem Produkt konkret erreichen? Ein Beispiel:

  • B-Goal: „Ich will mich mit meiner Mutter verbunden fühlen.“
  • Do-Goal: „Ich rufe sie per Videoanruf an.“

3. Motor-Goals – Die tatsächlichen Interaktionen im System

Wie wird die Aufgabe technisch umgesetzt?

  • „Ich entsperre mein Handy.“
  • „Ich öffne WhatsApp.“
  • „Ich drücke auf den Anruf-Button.“

Hier entsteht das Problem: Oft überladen wir digitale Produkte mit unnötigen Funktionen, die vom eigentlichen Ziel ablenken.

Warum UX oft vom eigentlichen Ziel abweicht – und wie man es verhindert

Anhand eines konkreten Projekts, bei dem Phoenix eine digitale Lösung für besseren Schlaf entwickelte, zeigte Caro, wie schnell UX-Design in die falsche Richtung laufen kann.

Drei klassische UX-Fallen und wie man sie vermeidet

🔥 Falle 1: Ungefragte Features hinzufügen

  • Ursprünglich sollte das Produkt nur beim Einschlafen helfen.
  • Dann kamen Ideen wie Schlaftracking, Tages-Entspannung, Schlafkurse und Community-Funktionen hinzu.
  • Ergebnis: Nutzer*innen waren überfordert und beschäftigten sich mit der App – statt einfach zu schlafen.

💡 Lösung: Sich auf das eigentliche Bedürfnis konzentrieren und unnötige Features vermeiden.

🔥 Falle 2: Datenflut durch Tracking

  • Das Team dachte: „Mehr Daten = mehr Kompetenzgefühl.“
  • Doch Nutzer*innen fühlten sich durch Schlafstatistiken eher gestresst als beruhigt.
  • Besonders fatal: Eine KI-Analyse gab Aussagen wie „Heute wirst du einen schlechten Tag haben“ – ein kompletter Wellbeing-Killer.

💡 Lösung: Nicht alle Daten sind hilfreich. Weniger, aber dafür sinnvollere Informationen verbessern das Nutzererlebnis.

🔥 Falle 3: Übertriebene Personalisierung

  • Nutzer*innen wollten mehr Lichtoptionen für ihre Einschlafhilfe.
  • Die Lösung: Ein super komplexer Farbeditor mit unzähligen Einstellungsmöglichkeiten.
  • Problem: Statt schnell eine beruhigende Farbe zu wählen, verbrachten die Nutzer*innen Minuten damit, die „perfekte“ Lichtszene zu erstellen.

💡 Lösung: Kleiner, einfacher, klarer. Weniger Optionen können oft eine bessere UX bedeuten.

Vier Prinzipien für UX-Design, das Wellbeing fördert

Aus all diesen Erkenntnissen leitete Caro vier Grundsätze ab, die jeder UX-Designerin im Kopf behalten sollte:

1️⃣ Nutzerintentionen ins Zentrum stellen

  • Entwickelt keine Features, die nur für Business-Ziele oder technische Machbarkeit existieren.

2️⃣ Informationen mit Bedacht wählen

  • Zu viele Daten können Stress auslösen. UX sollte informieren, aber nicht überfordern.

3️⃣ Entdeckungen ermöglichen, ohne Ablenkung zu erzeugen

  • Nutzer*innen sollen Neues entdecken können – aber in einem Flow, der sie nicht süchtig macht.

4️⃣ Ständiges Testen und Validieren

  • UX ist nie „fertig“ – echte Nutzer*innen-Tests sind entscheidend.

"Und deshalb gestalten wir nicht für digitales Wellbeing und auch nicht für phygetales Wellbeing, sondern wir gestalten immer für Wellbeing."

Caro Schmitt

Fazit: Wellbeing und UX gehören zusammen

UX-Design trägt Verantwortung dafür, wie Menschen digitale Produkte erleben. Es liegt an Designer*innen, zu entscheiden, ob sie süchtig machende Mechanismen oder echte, hilfreiche Erlebnisse schaffen wollen.

Was denkst du?

Wie erlebst du UX in deinem Alltag – unterstützt sie dein Wohlbefinden oder lenkt sie dich eher ab? Hast du schon einmal bewusst digitale Detox-Strategien genutzt?

Teile diesen Artikel gerne via Social Media und lass uns deine Meinung dazu wissen. Wir freuen uns auf dein Feedback!


Aufzeichnung

Hier geht es zur Aufzeichnung des Webinars in unserer Mediathek

Du bist noch kein Mitglied? Dann werde jetzt Teil der #UXCommunity und erhalte Zugang zu exklusiven Mitgliederevents und vielem mehr!