German UPA | Beitrag vom 20.03.2014 –
Customer-generated Prototypes – Chancen und Herausforderungen von durch Kunden erstellte Prototypen
Was wir unter Prototyping verstehen
Ein Prototyp stellt ein vereinfachtes Versuchsmodell eines geplanten Produkts oder Anwendung dar. Gleichzeitig ist Prototyping eine der wichtigsten Aktivitäten im benutzerzentrierten Designprozess. Ideen möglicher Gestaltungslösungen für ein spezifisches Problem (hier: grafische Benutzeroberflächen) werden mit Hilfe von Prototyping bereits frühzeitig zu konkreten Artefakten und dienen als Testobjekt und Kommunikationsinstrument. Während verbale Beschreibungen von Designkonzepten viel Raum für Missinterpretation bei Projektteam und Stakeholdern lassen, bietet ein Prototyp eine konkrete und erlebbare Umsetzung der Idee.
Vom Kunden erstellte Protototypen
Basierend auf unseren Erfahrungen nimmt der Kunde in Usability Consulting-Projekten zunehmend aktiv am Projektgeschehen teil. Bereits zu Projektbeginn wird uns als Berater ein Prototyp des zu gestaltenden Systems präsentiert, der eine aus Kundensicht mögliche Marschrichtung für das neue User Interface Konzept aufzeigt oder nach Auffassung des Kunden sogar ein nahezu fertiges Endprodukt darstellt, an dem nur noch an einigen Ecken und Kanten gefeilt werden muss. Trotz natürlicher Heterogenität bei den von Kunden erstellten Prototypen können wir folgende Gemeinsamkeiten identifizieren:
- Undurchsichtige Anforderungen – In den meisten Fällen ist nicht klar ersichtlich auf welchen Anfoderungen die Prototypen aufbauen, oder ob im Sinne eines nutzerzentrieren Ansatzes überhaupt Anforderungen erhoben wurden. Der Kunde steigt direkt in die Designphase ein und es entsteht der Eindruck, dass es sich oftmals um rein subjektive Anforderungen bzw. lediglich Annahmen handelt.
- Blinde Flecken – Es existieren viele Stellen, an denen das Konzept nicht zu Ende gedacht und wichtige Details ausgeklammert werden. Diese blinden Flecken stellen aus unserer Sicht mitunter aber essentielle Designfragen mit hoher Komplexität dar.
- Narrative Prototypen – In den meisten Fällen werden vom Kunden statische Design Mockups erstellt, d.h. die Prototypen bestehen aus einzelnen Screens, die z.B. mit MS PowerPoint hintereinander geschaltet werden. Fragen zu Verhaltensweisen an zahlreichen mitunter essentiellen Stellen („Was soll passieren, wenn ich diesen Button klicke?“) bleiben zumeist ungeklärt.
- Beginn beim Design, nicht beim Problem – Prototypen sind nur Mittel zum Zweck. Erfolgreiches Prototyping beginnt auf dem Papier. Wer unmittelbar mit dem “Design” in einem Software-Tool beginnt läuft Gefahr den Fokus auf das Problem zu verlieren und sich zu sehr auf “Kleinigkeiten” zu konzentrieren (Farbverläufe, detaillierte Icons, etc.). Die Effizienz des Prototyping beruht darauf, das Notwendige vom Optionalen zu trennen.
Auswirkungen auf die Projektarbeit
Vom Kunden erstellte Prototypen haben unterschiedliche Auswirkungen auf Projektarbeit und Gestaltungsprozess:
- Unterschiedliche Wahrnehmung von Ziel und Funktion des Prototypen– Neben Lasten- und Pflichtenheft ergänzt der Prototyp die Anforderungsdokumente des Kunden. Für den Kunden ist sein Prototyp in der Regel eine bereits fast fertige und nur noch im Detail zu überprüfende Lösung (da kommen wir ins Spiel). Für den Usability Professional stellt ein Prototyp ein dynamisches, sich stets veränderndes Konstrukt dar, welches nur ein erster Schritt auf dem Weg zum neuen System ist. Scheitern ist Teil des Prozesses.
- Erhöhter Einarbeitungsaufwand – Gerade bei Software Redesign-Projekten bedeutet ein zusätzlicher Prototyp, dass die Einarbeitung in zwei Systeme erfolgen muss (Prototyp und altes lauffähiges System).
- Kommunikation mit dem Kunden – Der Kunde kann dazu neigen, den von ihm selbst erstellten Prototyp mit seinen Fähigkeiten als guter Gestalter gleichzusetzen. Berechtigte Kritik am Prototyp – egal ob vom Usability Professional oder tatsächlichen Nutzern wird häufig persönlich genommen. Bei vom Kunden als besonders wichtig eingestuften Features können daher auch Ressentiments auftreten – trotz eindeutiger und berechtigter Anmerkungen („Ich hab das jetzt doch so dringelassen“).
- Auswirkungen auf den Gestaltungsprozess – Entgegen der beim Kunden anzutreffenden Vermutung, wird das Projekt durch den Kundenprototyp nicht von vornherein weniger komplex oder umfangreich. Der Prototyp begleitet den kompletten Gestaltungsprozess, von Planung bis zum Entwurf eigener Gestaltungslösungen. Dies bedeutet zum einen stets einen Mehraufwand, zum anderen liefert der Prototyp wichtige Ansatzpunkte für die eigene Arbeit.
- Wichtige Ansatzpunkte – Vom Kunden erstellte Prototypen enthalten wichtige Informationen und Ansatzpunkte für den eigenen Gestaltungsprozess, die nicht per se unberücksichtigt bleiben sollten. Probleme wurden bereits vom Kunden identifiziert und in Lösungsmöglichkeiten umgesetzt (low hanging fruit). Zudem hat sich das frühzeitige Miteinbeziehen des Prototypen in Diskussionsrunden und Fokusgruppen während der Anforderungsanalyse als brauchbares Werkzeug erwiesen.
Chancen & Herausforderungen – Fluch oder Segen?
Ein vom Kunden erstellter Prototyp im Entwicklungsprozess ist ein zweischneidiges Schwert: Zum einen erhöht der Prototyp zunächst den Einarbeitungsaufwand, zum anderen kann er gute und sinnvolle Ansätze liefern, die es lohnt weiter zu entwickeln. Grundsätzlich empfiehlt es sich einen Schritt im Entwicklungszyklus zurückzugehen, um Anforderungen mit geeigneter Methodik selbst zu erheben. Letztendlich bleibt die sehr erfreuliche Erkenntnis, dass Usability und Prototyping als Thema beim Kunden angekommen sind und aktiv angewendet werden.
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Über den Autor
Tim Schneidermeier ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medieninformatik der Universität Regensburg, wo er die Themen Usability Engineering und User Experience Design in Lehre und Forschung vertritt. Zusammen mit vier Kollegen hat er 2011 das Spin-off small worlds gegründet, wo er Forschung in Praxis umsetzt.
mail: tim.schneidermeier@googlemail.com
twitter: @tschneidermeier